Die Definition der medizinischen Notwendigkeit ist zwar prinzipiell bei lebensbedrohenden Erkrankungen dieselbe wie bei anderen Leiden und bezieht sich auf die BGH-Rechtsprechung, die Beurteilungskriterien sind hier allerdings abweichend anzuwenden. Dazu gab es bereits Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (die für die PKV aber nicht zutreffend war), die einen breiten Ermessensspielraum eröffnete. Der Grundsatz lautet: je bedrohlicher die Erkrankung, desto geringer die Anforderungen an eine geplante Therapie, was Wissenschaftlichkeit, Wirksamkeitsnachweis oder schulmedizinische Alternativen betrifft.
Dazu gibt es nun neue obergerichtliche Rechtsprechung des OLG Saarbrücken (Urteil vom 20. April 2016 – 5 U 7/16):
Der Kläger litt an einer amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Der amtliche Leitsatz lautet: ist die Behandlung mit einem bislang nicht zugelassenen Heilmittel (hier: Hitzeschockproteine) grundsätzlich medizinisch nachvollziehbar, haftet ihr aber dennoch Versuchscharakter an, so können bei einem infausten Stadium des Leidens geringere Anforderungen an die Möglichkeit einer Linderungswirkung gestellt werden.
Aussicht auf Heilung oder Linderung genügt bereits, wenn die Methode als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, auf eine Verhinderung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken. Dabei ist nicht gefordert, dass der Erfolg wahrscheinlicher ist als sein Ausbleiben. Die Behandlung muss
- mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht (BGH-Rechtsprechung)
- die Erreichung des Behandlungsziels als möglich erscheinen lassen.
Einzige Einschränkung: die gewählte Methode beruht auf einem nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbarem Ansatz, der die prognostizierte Wirkweise auf das angestrebte Behandlungsziel zu erklären vermag, sie somit wahrscheinlich macht.
Mit diesen Beurteilungskriterien dürfte es kaum noch möglich sein, eine Behandlung, auch unwissenschaftlicher Art, beim Vorliegen einer lebensbedrohenden Erkrankung abzulehnen.
Quelle: r+s 11/2016: 570ff.